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Manchmal fangen sie aus dem Nichts an zu streiten, überbieten sich gegenseitig an Angebereien, sticheln und machen sich über einander lustig oder reden den größten Müll – und genau so plötzlich, wie es angefangen hat, ist es auch wieder vorbei. Was war? Ein Mädchen ging vorüber. Mädchen - echt, machen nur Ärger. Wieso sie sich gestritten haben? Das wissen Hugo und Hassan selbst nicht mehr, und dabei sehen sie ziemlich ertappt aus. Liebevoll entlarvend, das ist der Blick, den Aakeson & Bregnhøi auf die Großmäuligkeit ihrer beiden Helden werfen, und sie zeigen die Angst und Unsicherheit, die sich dahinter versteckt, ohne dabei hämisch zu lachen. Sehr komisch, sehr echt!

Kim Fupz Aakeson/Rasmus Bregnhøi: Hugo & Hassan – Echt jetzt?! Klett Kinderbuch 2023, 16.- €

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"Seinen Namen sucht man sich nicht aus, der wird einem gegeben, erst bei der Geburt und dann hier auf dem Hinterhof." Es ist Entenarsch, die das sagt, und der Hinterhof ist der vom Penny, auf dem abhängt, wer dazugehören will. Das will Entenarsch unbedingt, auch und besonders wegen Can. Der beachtet sie jedoch genauso wie die anderen, Maria, Vika, Otto, unser Pavel und Leroy. Gehört sie überhaupt wirklich dazu? Und ist sie ein Entenarsch? Und wenn: Ist sie zum Entenarsch geworden, weil sie so genannt wird, oder wird sie so genannt, weil sie einer ist? Und dann entwickelt sich dieser Sommer zu ihrer Chance, den Namen abzulegen. Denn Jo muss gesucht und gefunden werden, vor allem für Marie. Jo, der ihr den Namen gegeben hat, und der vor sechs Monaten verschwunden ist. Es gibt Postkarten, Spuren, Zeichen, die nach Süden führen. Doch man braucht ein Auto, um den Spuren folgen zu können. Und die einzige, die ein Auto und einen Führerschein hat, ist Entenarsch. 

Großartig erzählte Geschichte über so vieles, das man lernen muss auf dem Weg ins Erwachsenenleben:  Verantwortung übernehmen für seine Handlungen und Worte, selbstbestimmt und notfalls unter Inkaufnahme von Schmerzen Dinge in Ordnung bringen, sich seinen Namen aussuchen.

Sarah Jäger: Nach vorn Nach Süden. Rowohlt TB 2021, 10.- €

 

Ein ähnliches Setting, ähnliche Themen, die hier jedoch in einer Ausnahmesituation intensiv ausgespielt werden und nicht für alle Beteiligten zu einem befriedigenden Ende führen. Es sind Suse, Pavlow (Bastian), Maja, Tolga und Bo, die abwechselnd aus ihrer Sicht den besonderen Tag und vor allem die Nacht ihres allerletzten Schultages erzählen. Die gemeinsame Schulzeit - vor allem die Pausen, die Freistunden, die Zeit vor und nach dem Unterricht, die vielen Stunden an dem Tisch in der Kneipe „die Penne", hinten links in der Ecke – hat die fünf zu besten Freund*innen gemacht, zu Lieblingsmenschen, die sich alles erzählen. In vielen Rückblicken wird berichtet, wie die Gruppe gewachsen ist (Bo kam hinzu), wie die Konstellation sich entwickelt und verändert hat. Jetzt aber steht eine ganz andere Veränderung bevor, die fünf werden sich trennen, in die Welt verschwinden. Die letzte Nacht ist besonders, da muss etwas mehr passieren als Abiball in der Turnhalle. Pavlow hat diese Idee, dass sie in dieser Nacht ihre Initiation erleben müssen, dass sie sterben und wiedergeboren werden müssen. Und er beginnt damit, dass er seinem eigenen, ganz persönlichen Ungeheuer ins Gesicht sieht. Die anderen sind dabei, unterstützen ihn. Doch dann werden sie unsicher, zögern, spüren, dass Pavlow unberechenbar wird. Und beginnen zu ahnen, dass auch Lieblingsmenschen nicht alles voneinander wissen können...

Wieder ist es die Kunst Jägers, diese besondere Stimmung einzufangen, die überzeugt. Egal, wie weit das eigene Abitur entfernt ist, ob es vor einem liegt oder lange zurück: Man ist wieder mittendrin, riecht die schweißige Turnhalle, hört die salbungsvollen Reden und beobachtet die Klassenkamerad*innen, die sich langsam (oder auch schneller) die Kante geben. Und weiß genau, dass diese besondere Aufbruchsstimmung aufregend und gefährlich ist... Große Kunst!

Sarah Jäger: Die Nacht so groß wie wir. Rowohlt/Rotfuchs Verlag 2021, 20.- €

 

 

Diesmal nimmt Sarah Jäger eine Person in den Mittelpunkt und auseinander und zeigt ihre Fähigkeit, sich so richtig tief und intensiv hineinzudenken. Kim ist keine einfache Person, ihre Geschichte beginnt Jäger mit einem Knall: Kim fliegt erst von der Schule und verletzt dann auch noch (unabsichtlich) ihre Mutter. Es bleibt ihr nur eine Chance: Sie muss auf das Land, bei dem Ex ihrer Mutter wohnen, dort gibt es eine Schule, die sie noch aufnehmen würde. Jeden Tag schreibt sie sich auf den Unterarm eine Ermutigung und Forderung: Nicht vermasseln, diesmal nicht! Und sie reißt sich zusammen, hält sich zurück, sogar der garstigen Mutter des Ex gegenüber, sucht sich einen Job, versucht, möglichst unter dem Radar zu bleiben. Ganz klappt das nicht, aber das liegt nicht an ihr, sondern an Janne. Der kommt einfach immer zur Tankstelle, setzt sich, bleibt, redet. Und dann taucht auch seine Freundin Alex auf und ob Kim will oder nicht, sie wird Teil dieser Freundschaft. Doch wie stark ist die Freundschaft, wieviel halten die beiden aus, was passiert, wenn Kim das Gefühl hat, zerstören zu müssen?

Sarah Jäger: Schnabeltier Deluxe. Rowohlt/Rotfuchs Verlag 2022, 20.- €

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Ina Schmidt geht aus von den schon ziemlich abgegriffenen Postkarten- oder Kühlschrankmagnet-Weisheiten, die man überall sieht – und es gelingt ihr, diese Sprüche so lange zu wenden, auseinanderzunehmen, zu deuten und zu hinterfragen, dass man fast ohne Anstrengung, fast ohne es zu merken, darüber allen Ernstes ins Philosophieren kommt. Und genau das ist Schmidts Anliegen. Dafür nimmt sie sich die neun ausgewählten Sprüche vor, definiert erst einmal, zieht dann große Denker*innen und Philosophen zu Rate, stellt immer wieder den Bezug zur Gegenwart und zu den Leser*innen her und zeigt am Ende die Relevanz auf und bietet spannende Wege zum Weiterdenken an. Das ist gut gemacht, sprachlich absolut auf Augenhöhe mit den angesprochenen 13- bis 16-Jährigen und ansprechend grafisch begleitet von Lena Ellermann. So kann Selber-Denken Spaß machen.

Ina Schmidt/Lena Ellermann: Wo bitte geht's zum guten Leben? Carlsen Verlag 2022, 16.- €

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Eins ist klar: Sam ist völlig überfordert von seinem Leben. Wie auch nicht? Seit einem Jahr, seit seine Tante ihn rausgeschmissen hat, ist er obdachlos. Und mit ihm sein großer Bruder, für den sich Sam komplett verantwortlich fühlt. Denn Avery ist Autist, und nur Sam weiß, was er tun kann, wenn Avery alles zu viel wird. Seit der Vater damals, Sam war gerade 7 Jahre alt, Avery zusammengeschlagen und die beiden Brüder dann bei seiner Schwester abgeladen hat, fühlt sich Sam als Averys Beschützer. Manchmal geht er dabei zu weit und schlägt zu, wenn Avery etwas angetan wird. Wie sein Vater, höhnt eine innere Stimme, und das gleiche sagt auch Avery. Jeden Abend sucht sich Sam ein leeres Haus und schläft, isst, wenn etwas da ist, und verkriecht sich dort, während Avery bei „Freunden" wohnt, denn er kann mit einem so unstrukturierten Leben nicht umgehen. Diese „Freunde" jedoch nutzen ihn aus, missbrauchen ihn für krumme Geschäfte und könnten auch Sam gut gebrauchen. Sam aber wird in einem völlig chaotischen und höchst gemütlichen Haus erwischt – und doch nicht erwischt. Die Familie hat 7 Kinder und alle halten Sam für den Kumpel von einem von ihnen. Sam verbringt einen der schönsten Tage in seinem Leben, es fühlt sich an wie Zuhause. Doch eine Familie, ein Zuhause kann man nicht stehlen. Und Avery rutscht ab in die richtig fiese Szene. Eine Katastrophe scheint unvermeidlich zu sein...

Ein klein wenig zu lange spielt Drews mit den gleichen Motiven – Sams dauernde Angst vor dem Entdeckt-Werden und seine Sorge um Avery, während er einen Tag nach dem anderen genießt. Doch diese liebevoll beschriebene, irre chaotische Familie trägt über die Längen hinweg mit wunderbar leichten und witzigen Szenen und Dialogen (und dann ist da ja auch noch die zarte Verliebtheit von Sam und der Tochter Moxie) -  bis es zu einem wirklich dramatischen Finale kommt. Schmöker!

C.G. Drews: The boy who steals houses. Sauerländer bei Fischer Verlag 2022, 17.- €

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Hannos Eltern entschließen sich, Pien für ein paar Wochen bei sich aufzunehmen. Piens Mutter leidet unter Depressionen und braucht dringend eine Auszeit in einem Erholungsheim. Pien geht in Hannos Klasse und ist seltsam: lang, dürr und spinnenbeinig, mit großen Händen und Füßen. Für dieses Mädchen soll Hanno sein Zimmer räumen und bei seinem Bruder Tim schlafen? Hanno ist empört, gegenüber seinen Freunden in der Schule beschwert er sich und erzählt von Piens Tollpatschigkeit und ihrem merkwürdigen Benehmen. Er flieht oft in die Fahrradwerkstatt zu Kees, bei dem er Material für seine Eisen(un)tiere findet. Kees rät ihm: Beobachte erst einmal, bevor du urteilst: Was macht sie genau, diese Pien, was stört dich am meisten, warum? Hanno folgt seinem Rat und ganz langsam und schleichend verändert sich seine Einstellung zu Pien. Und damit auch die zu seinen Freunden...

Für mich ein typisches Kinderbuch aus den Niederlanden: Aus wenig anderen Büchern kenne ich solche intensiven, nahen und lebendigen Beschreibungen von Familienszenen, die völlig alltägliche und unspektakuläre Handlungen und Erlebnisse so erzählen, dass man nicht nur direkt dabei zu sein scheint, sondern auch wissen möchte, wie es weitergeht. Sehr zurückhaltend, fast unmerklich wird dabei ein sensibles Thema zu einer schlichten und schönen Geschichte.

Annejan Mieras: Hanno und der Notfall. Gerstenberg Verlag 2022, 14.- €

Ungewöhnlich und sehr aufschlussreich beginnt das Buch: Nämlich nicht mit der eigentlichen Expedition, sondern mit fast 10 großzügig gestalteten Doppelseiten über die Vorbereitungen. Und es wird kurios, wird doch nicht nur berichtet, was eine solche Reise kostet und wo das Geld dafür herkommen könnte, sondern auch, wie sorgfältig so etwas vorbereitet werden muss. Da wird geübt, mit drei Paar Handschuhen ein Zelt im Garten aufzubauen, und dann wird auch drin übernachtet. Der Körper muss in Höchstform gebracht werden, das Ziehen des schweren Schlittens ist eine Übung dafür - durch den Wald mit schweren Autoreifen am Gürtel. Minutiös wird die Ausrüstung aufgelistet. Und dann geht es endlich los – und wird richtig spannend! Eisspalten, Eisberge, Eisdrift, Eisbären und sogar ein Erdbeben erleben die beiden Abenteurer. Dazwischen geht es um den Tagesablauf, die Kleidung, die Ernährung. Besonders erwähnenswert sind auch die wunderbaren Drucke, mit denen das Buch illustriert ist. Wenn man nach dieser Lektüre nicht selbst bereit für das große Abenteuer ist!

Agata Loth-Ignaciuk/Bartlomiej: Ins ewige Eis! Gerstenberg Verlag 2022, 18.- €

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Als echter Angeber nach dem Motto Alles-was-du-kannst-kann-ich-besser hat Paul nach und nach seine Freunde verloren. Einzig seine kleine Schwester Elli hält voll zu ihm und sein letzter Freund Waris. Kaum erzählt der stolz auf dem Pausenhof, dass er vor dem Einschlafen bis 1000 gezählt hat, kann Paul nicht anders, als das zu toppen und zu behaupten, er könne bis 10 Millionen zählen. Elli ist beeindruckt wie immer und verlangt, er solle sofort anfangen. Und das tut Paul. Und hört nicht mehr auf. Egal, was seine Lehrer und die fiese Direktorin anstellen, Paul zählt leise vor sich hin und beschließt, diesmal gibt es keine Angeberei, diesmal zieht er es durch. Das gibt zunächst Ärger, nicht nur in der Schule, auch seine Mutter ist wenig begeistert. Doch sie ist auch seltsam fasziniert von Pauls Zählerei, die ihr ungewohnt schön vorkommt. Nach Tagen des Zählens spricht sich Pauls Projekt herum, die Direktorin erkennt das Potential und steht plötzlich hinter Paul, macht sich schließlich zu seiner Managerin und sein Zählen zu einer sensationellen Riesensache. Paul wird berühmt! Und er zählt und zählt, monatelang – aber irgendwann wird er an zu der 10 Millionen kommen, und dann?

Herrlich abstruse Geschichte, in der ein paar überraschende Wendungen lauern und einige Dinge absurd überspitzt werden. Doch der eigentliche Clou sind die Zahlen, die man durch Pauls verzauberndes Zählen mit völlig anderen Augen sehen lernt. Faszinierend und witzig.

Melvin Burgess: Voll verzählt? Gulliver bei Beltz & Gelberg Verlag 2022, 12.- €

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Krieg ist eine Frage der Macht – und ein Geschäft. Wer ist daran beteiligt? Was sind konventionelle Waffen, leichte Waffen, Biologische, Chemische Waffen? Gibt es ihn, den Gerechten Krieg? Was hat es mit dem Humanitären Völkerrecht auf sich? Was ist der Unterschied zwischen Staatsstreich, Rebellion und Bürgerkrieg? Wann spricht man von Terrorismus? Was war der Kalte Krieg? Gibt es heute noch Krieg? Wo und wie sieht er aus? Was sind die Folgen eines Krieges?

Diese und mehr Fragen werden leicht verständlich, übersichtlich und strukturiert beantwortet und mit sehr ansprechenden Grafiken veranschaulicht. Am Ende werden die beiden heutigen großen Kriege in Syrien und in der Ukraine kurz umrissen. Dass auf dem Titelbild eine Frau mit Kopftuch gezeigt wird, was das Hauptaugenmerk auf den Syrienkrieg lenkt, ist daher eher irreführend. 

Der Verlag empfiehlt das Sachbuch ab 8 Jahren. Ja, schon Grundschüler*innen und sogar noch jüngere Kinder fragen nach, wenn sie in den Gesprächen, den Nachrichten oder bei Freunden und Geschwistern vom Krieg hören. Dieses Buch gibt jedoch so umfassend, detailliert und ausführlich Antwort, dass ich eher empfehle: ab 10 und für alle!

Eduard Altarriba: Was ist Krieg? Beltz & Gelberg Verlag 2022, 15.- €​

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Korrekt, zuverlässig, strukturiert, klug und grundehrlich: Was Mischa sagt, zweifelt niemand in der Klasse an. Am wenigstens Nits, sein bester Freund. Nits bewundert Mischa und weiß, dass er den Gegenpart in dieser Freundschaft übernommen hat: witzig, zappelig, immer einen Spruch auf Lager. Und er verlässt sich auf Mischa, seine Zuverlässigkeit und sein geradezu enzyklopädisches Wissen. Bis er durch Zufall auf Ungereimtheiten stößt, ein bisschen bohrt – und aus allen Wolken fällt, weil er entdeckt, dass Mischa gelogen hat. Einmal. Einmal? Was, wenn das schon viel häufiger passiert ist, was, wenn Mischa Nits dauernd Lügengeschichten erzählt hat? Plötzlich sieht Nits Mischa mit anderen Augen und die Freundschaft der beiden wird auf den Kopf gestellt. Was Nits erfährt, bringt sein Weltbild ins Wanken: Mischa ist arm, seine Mutter ist seit Jahren verschwunden, sein Vater schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und sorgt mehr schlecht als recht für Mischa und seine kleine Schwester. Und Mischa schämt sich dafür, seit Jahren lebt er mit Lügen, Heimlichtuereien, Scham. Das ist ein schwerer Brocken für Nits, vor allem seine Verletzung und Enttäuschung machen ihm zu schaffen. Wieso hat Mischa ihm nicht vertraut, ihm nicht die Wahrheit gesagt? Was bedeutet das für ihre Freundschaft? Erfreulicherweise kriegen die beiden es jedoch hin und retten diese besondere Freundschaft. Was auch unbedingt geboten ist, denn die echten Schwierigkeiten fangen erst an, als Mischas Vater in kriminelle Kreise rutscht – und dann plötzlich verschwunden ist. 

Auch wenn viel mehr noch drinsteckt in dem Roman um das schwierige Thema Armut – im Grunde ist es eine ganz erstklassige Freundschaftsgeschichte. Das Vertrauen, der Glaube an den anderen, der über lange Jahre gewachsene Zusammenhalt - was Mischa und Nits da für einen Schatz haben! Und wie sie es mit Ehrlichkeit, Offenheit und gutem Willen hinkriegen, die schlimme Krise ihrer Freundschaft nicht nur zu überwinden, sondern als Möglichkeit zu nutzen, noch tieferes Vertrauen zueinander aufzubauen, das ist schon bemerkenswert. Und Höfler schreibt ja noch viel mehr in die Story hinein, und sie kann das hervorragend: Die Scham und Angst angesichts der aussichtslosen Armut, die Familiensituation, die praktischen Probleme, die Einsamkeit, die Sehnsucht. Auch die Personen haben viele Facetten, starken Charakter und großen Charme – vielleicht ein wenig zu viel von allem. Und vielleicht ein ganz bisschen zu viel fantastische und ausschließlich sympathische, positive Aspekte: Der arme, aber coole Vater, die verständnisvolle Sozialarbeiterin, der zupackende Imbissbuden-Freund, der streng-korrekte Lehrer, die wunderbaren Eltern. Und alle zusammen sorgen für ein happy end. Aber egal, denn die Geschichte bleibt in erster Linie eine Freundschaftsgeschichte – und darin ist sie große klasse.

Stefanie Höfler: Feuerwanzen lügen nicht. Beltz & Gelberg Verlag 2022, 15.- €​

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Was ist die größte Einsamkeit? Wenn dir nicht geglaubt wird? Wenn du nicht zeigen darfst, wer du bist? Oder wenn du begreifst, dass du jemanden nie wieder sehen wirst? Josefin ist sicher: jemanden nie wieder sehen zu können. Und genau das gilt für Hanna. Hanna, die Josefin den ersten Spitznamen ihres Lebens gab. Die ungleichlange, unlackierte Fingernägel hat. Mit der Josefin auf viele verschiedene Arten schweigen konnte. Und auf eine unnachahmliche Art durch den Regen gehen. Aber wer Hanna wirklich ist, hat Josefin nie erfahren. Sie weiß nur, dass ihr Leben hier, in Josefins kleiner Stadt, in ihrer Schule, erfunden war. Eins von vielen erfundenen Leben. Dass sie eigentlich keinen Kontakt mit Josefin haben durfte, aber trotzdem zum Abendessen in einer der internationalen Wochen von Josefins Mutter gekommen ist, trotzdem mit Josefin zur Sternwarte gegangen ist und zu ihrer Oma. Hanna, die Josefin nie angelogen hat, und ihr auch nie die Wahrheit gesagt hat. Wie kann man so leben? Wer ist man ohne Erinnerungen? Josefin weiß darauf keine Antwort. Aber für sie ist Hanna wie das Licht im All, das nie erlischt: „Alles, was je geleuchtet hat, bleibt."

Susan Kreller hat es wieder gemacht: Sie hat einen wunderschönen Roman geschrieben über eine einfache, fürchterlich komplizierte Sache. Wie im Schneeriesen, in den Elefanten, den Fischen. Und immer geht es auch und grundsätzlich um Freundschaft. Und man ist genau so verzaubert wie sonst auch von Krellers Sprache, so poetisch, so besonders, so schön. Sie lebt von den Vergleichen, den Wortkombinationen und unerwarteten Zusammenreihungen, dem leisen, zarten, manchmal beiläufigen Spiel mit den Worten. „Die ist nicht meine Freundin Kiesow. Die ist noch nicht mal eine flüchtige Bekannte, die ist eigentlich nur flüchtig und ansonsten total unbekannt. Mir zumindest." Wunderbar!

Susan Kreller: Hannas Regen. Carlsen Verlag 2022, 15.- €

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Viel zu jung – mit 10 Jahren! - stirbt Holly bei einem Autounfall, und dazu noch im Streit mit ihrer Mutter. Da ahnt man gleich: Das kann es nicht gewesen sein, da muss noch etwas kommen. Und ob! Da kommen ganz viele herrlich fantasievolle Ideen, wie es im Himmel aussieht, was man da alles machen und nicht machen kann, was Holly erlebt, wen sie trifft. Verwirrend ist das am Anfang, und Holly ist froh, sofort Frida zu treffen, die schon seit 100 Jahren im Himmel unterwegs ist. Gemeinsam versuchen sie, in die Engelschule zu gelangen, denn nur Engel, das erfährt Holly von Frida, können zurück auf die Erde. Doch das ist alles andere als einfach. Denn in letzter Zeit hat sich im Himmel einiges verändert, es gibt einen neuen Oberboss, der strenge Regeln aufstellt – und der Frida verfolgt. Holly ist kaum im Himmel angekommen, da muss sie schon gemeinsam mit Frida fliehen und in einer Hals-über-Kopf-Aktion völlig unvorbereitet zurück auf die Erde. Nur leider nicht in ihrem eigenen Körper: „Und dann? Wenn dich jemand erkennt? Willst du etwa, dass es dir geht wie Jesus?" Holly wusste nicht genau, wie es Jesus gegangen war. „Der ist auch im eigenen Körper runter. Kurz nach seinem Tod. Das war eine Riesenaufregung. Das kannst du dir nicht vorstellen. Die Leute haben vor Schreck eine Religion gegründet." Als ältliches Paar erscheinen Holly und Frida schließlich bei Hollys Familie und stellen alles auf den Kopf... Herrlich komisch, voller origineller Ideen und mit einer flotten Story – ein großes Vergnügen!

Micha Lewinsky: Holly im Himmel. Diogenes Verlag 2022, 14.- €

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Die einzige, der diesen berühmten Wolfskodex hinterfragt, ist Beate, der Bär. Aber so nett und gemütlich, und so ohne eine Antwort wirklich zu erwarten, dass der Wolf ausweichen kann. Nur wir als Leserin machen uns Gedanken...und erfahren nie, was den Wolf wirklich dazu treibt, eine Langzeitbetreuung für ein Krebs-krankes Kaninchen (ausgerechnet!) zu übernehmen. Denn dieser Wolfskodex – rettest du mir das Leben, muss ich deins retten – ist tatsächlich etwas vage. Aber was soll's: Der Wolf hat jetzt jedenfalls ein Kaninchen mit langem Medikamentenplan am Hals, weil dieser Nager ihn vor einer Kugel des Jägers gerettet hat. Überhaupt, dieser Jäger: Mit seinem Hund Horst wird er wirklich zu einer Nervensäge, die Wolf und Kaninchen auf eine lange und anstrengende Flucht treibt. Bis eben Beate der Bär auftritt und Ruhe ins Geschehen bringt. Vorher allerdings geht es richtig ab, und gerade dieser Gegensatz der Western- und Ganovenfilm-reifen Fluchtgeschichte und Kaninchens schrecklicher Krankheit, ihrem elenden Zustand, ihrem Leid sowie Wolfs ruppiger Liebenswürdigkeit und rührender Hilfe macht den Reiz dieser wunderbaren Geschichte aus. Ach ja, und toll gezeichnet ist sie auch noch: ausdrucksstark, lebendig, witzig - all das mit einfachen Strichen. Große klasse!

Josephine Mark: Trip mit Tropf. Kibitz Verlag 2022, 20.- €

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Gulraiz Sharif lässt sich Zeit, bis er zur Sache, zum Thema und Anliegen seines Romans kommt. Zwar gibt es leise Andeutungen und Vorahnungen, doch auf den Tisch kommt die Sorge von Mahmouds kleinem Bruder Ali erst nach knapp der Hälfte des Buches. Vorher wird ausführlich und mit großem Vergnügen Mahmouds Welt vorgestellt: Das Viertel, sein Kumpel Arif, seine Familie. Und seine Tage in den langen Sommerferien, die aus Chillen, Abhängen, Daddeln und dem Gang zum Mini-Markt bestehen. Und damit kann man fast 100 Seiten füllen? Aber hallo: Mahmoud erzählt schließlich selbst, und das in einem unnachahmlichen Slang, mit viel Selbstironie und einem knallharten, ehrlichen Blick auf seine Position in der Gesellschaft im Vergleich zu den „norwegischen Norwegern". Und dann passiert in diesen Ferien doch noch etwas Besonderes, denn Mahmouds Familie bekommt Besuch von einem Onkel aus Pakistan, den Mahmoud in Oslo herumführen darf. Eine willkommene Abwechslung. Im Beisein des Onkels fällt Mahmoud auch zum ersten Mal auf, dass sein kleiner Bruder sich komisch benimmt: Der Gang in die Moschee scheint ihn heftig mitzunehmen. Was ist da los? Und schließlich schüttet Ali Mahmoud sein Herz aus, und was Mahmoud da erfährt, stellt seine Welt auf den Kopf: Ali, gerade mal 10 Jahre alt, ist todunglücklich, weil er das Gefühl hat, im falschen Körper geboren zu sein. Er möchte lieber ein Mädchen sein. Wie um Himmels Willen soll Mahmoud das jemals seinen Eltern erklären? Das erste, was ihm einfällt: „Onkel und Papa werden ‚'nen Ehrenmord an dir begehen." Zum Glück denkt er das nur. Tatsächlich wächst Mahmoud über sich hinaus und steht voll hinter Ali. Aber leicht wird es nicht...

Wenn man sich auf die Rap-Rotz-Underdog-Sprache einmal einlässt, hat man einen Heidenspaß, denn Mahmoud beobachtet genau, urteilt knallhart, kennt keine Tabus, ist ehrlich, kann sich und seine Leute ebenso böse wie liebevoll betrachten und hat dabei einen herrlich selbstkritischen Humor. Und ein großes Herz.

Gulraiz Sharif: Ey hör mal!  Arctis Verlag 2022, 15.- €

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Wie fühlt es sich an, von den Kindern auf der Straße geärgert und ausgeschlossen zu werden? Welche Ängste steht man aus, hat man dem Bruder etwas stibitzt, um damit vor den anderen anzugeben, und dann geht es kaputt? Was geht einem durch den Kopf, wenn man sich etwas ganz schrecklich wünscht, was man sich nicht leisten kann? Von zeitlosen Erfahrungen und Erlebnissen, die man in der Kindheit macht, erzählt Ulitzkaja in einem Russland der Nachkriegsjahre. Und so mögen die Verhältnisse, die Klamotten, die Namen und die Umgangsformen vielleicht fremd wirken, die Gefühle sind immerwährend. Und noch etwas lernen die kleinen Leser*innen in diesen Texten kennen: die Kunst, etwas wegzulassen, etwas nicht auszusprechen. Das findet man in Kinderbüchern nicht oft, dabei ist es dort genauso kunst- und wertvoll wie in jeder Literatur.

Ljudmila Ulitzkaja/Hildegard Müller: Ein glücklicher Zufall. Dtv Verlag 2022, 16.- €

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Neuer Verlag, neues Cover – aber auch 8 Jahre nach der Erstveröffentlichung ist dieser Comic vom Kiste-Erfinder Patrick Wirbeleit ein echtes Vergnügen!

Um das Mädchen seiner Träume zu beeindruckend braucht Jonas eine Vespa. Doch dafür fehlt das Geld. Also muss ein Job her. Leichter gesagt als getan:  Der einzige offene Job als Aschefeger in der Hölle wirbt mit viel Dreck, viel Arbeit und wenig Bezahlung. Noch schlimmer allerdings sind die Kollegen, das merkt Jonas schnell: Selten dämliche Teufel machen ihm neben dem Oberboss das Leben schwer. Um aus der Hölle rauszukommen und auf der Erde wiedergeboren zu werden, versucht sich einer der Trottel zu verbrennen. Klappt natürlich nicht. Als sprechender Aschehaufen überzeugt er Jonas dann, dass er Tricks auf Lager hat, mit denen man jedes Mädchen gewinnt. Dafür muss er nur rausgeschmuggelt werden. Jonas lässt sich darauf ein – und gerät in herrlich absurde Schwierigkeiten, in denen ein Hund, Gott, ein Engel und natürlich die dämlichen Teufel mitmischen. Großes Kino im kleinen Comic!

Patrick Wirbeleit: Was zur Hölle?! Kibitz Verlag 2022, 15.- €

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Buffy ist eine sehr mutige Polizistin, auf die der alte Kommissar Gordon wirklich stolz ist. Auch diesmal scheut sie kein Risiko, um herauszufinden, wer im Wald für Angst und Schrecken sorgt, wer kratzt und brummelt, nachts in Häuser eindringt und Töpfe umherwirft. Während die Tiere sich alle ängstlich in der Polizeistation verstecken, geht Buffy alleine los. Alleine? Nicht ganz: Der kleine Eichhörnchenjunge Helmer, der gerade bei Gordon lernt, wie man ein guter Polizist wird, hat sich auch auf den Weg gemacht. Und beide machen unglaubliche und völlig unterschiedliche Erfahrungen...

Nilsson ist ein Meister darin, Weisheiten in wunderschöne Geschichten zu verpacken. Nichts daran ist aufdringlich, moralisierend oder wichtigtuerisch, kein erhobener Zeigefinger winkt, keine Erkenntnis ruft danach, ins Kissen gestickt zu werden. Obwohl...einen Ratschlag unter den „wichtigen Aufzeichnungen" in Kommissar Gordons Schublade werde ich mir hinter die Ohren schreiben: Frage immer jemanden, der es weiß.

Jeder einzelne Band der Kommissar-Gordon-Reihe ist eine Perle, deswegen ist es umso trauriger, dass dieser endgültig der letzte ist. 

Ulf Nilsson/Gitte Spee: Der allerletzte Fall. Moritz Verlag 2022, 12.95 €

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Auch wenn er sie oft aufzieht und sich gerne über ihre alten Geschichten lustig macht: Im Grunde hört der Eichelhäher seiner alten Sommereiche, der Troeteleik gerne zu. Denn sie hat viel zu erzählen, hat in den gut zweihundert Jahren ihres Lebens viel gesehen an ihrem Platz: zwei Kriege zum Beispiel, und Könige und unzählige Tiere. Die sind jetzt allerdings verschwunden, bis auf den Eichelhäher, denn die alte Eiche steht alleine mitten zwischen den verschiedenen Spuren einer Autobahn. Auch wie es dazu gekommen ist, erzählt sie ihrem gefiederten Freund. Zwischendurch schaltet sich das Wurzelwerk ein, das alle Bäume miteinander verbindet und Nachrichten schneller verbreitet als unser Internet. So auch diese: Die Eiche soll jetzt doch bald gefällt werden...

Dass Bibi Dumon Tak sich auf ungewöhnliche Art mit Tieren auseinandersetzt, kennen wir aus ihren großartigen Sachbüchern. In denen stellt sie u.a. weitgehend unbekannte und seltsame oder unterschätze Tiere vor, indem sie schräge Fakten und Anekdoten dazu sammelt. Den Witz dieser Kurzportraits versucht sie hier in Gestalt des flapsigen Eichelhähers in den Roman mitzunehmen. Die Geschichte selbst beruht auf Fakten und ist im Grunde eher tragisch als witzig. Dumon Tak versteht es jedoch, sie packend und leicht zu erzählen. Und: Noch steht sie wirklich genau da, an der A58 in den Niederlanden, die Eiche von Ulvenhout.

Bibi Dumon Tak/Marije Tolman : Die Eiche und der Federschopf. Gerstenberg Verlag 2022, 16.- €

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Ed ist gar nicht begeistert, als seine Eltern verkünden, dass er und seine kleine Schwester Roo die ganze Woche bei der alten Nachbarin Miss Filey verbringen müssen. Kaum sind sie dort, taucht Willard auf, ein Junge aus der Nachbarschaft, der gerade neu hergezogen ist, und lädt sich selbst ein. Bevor Ed sich richtig ärgern kann über den Witzbold Willard und die langweilige Miss Filey, passieren die ersten unglaublichen Dinge...

Und da wir an diesem Punkt gerade mal erst am Ende des dritten Kapitels sind und das Feuerwerk an verrückten Einfällen, spannenden Abenteuern und phantastischen Erlebnissen bereits in voller Fahrt ist, immer nur wilder und großartiger wird und man sehr schnell nicht mehr weiß, ob man dieses Buch jemals aus der Hand legen möchte (nein, möchte man nicht), versuche ich gar nicht erst, zu erzählen, worum es geht. Deswegen gleich zu meinem Urteil. In diesem Buch ist alles drin: an erster Stelle der wunderbare trockene Humor, der die ganze Erzählung durchzieht und ihr diese besondere, distanzierte Leichtigkeit gibt; dann Abenteuer im allerbesten klassischen Sinne, in der Tradition Roald Dahls und Annie M.G. Schmidts; die Liebe zu Geschichten, die ja nichts anderes als Abenteuer im Kopf sind; und natürlich die Charaktere, die gleichzeitig Typen sind – die schrullige alte Nachbarin, der intelligente große Bruder, der nicht an Magie glaubt, die kluge kleine Schwester, die für alles offen ist, der Witzbold in Gestalt des Nachbarjungen, und die Katze darf den Part des grantigen Kritikers übernehmen – und trotzdem als besonders liebenswerte Individuen in Erinnerung bleiben. Dass ein Protagonist im Rollstuhl sitzt (was man erst nebenbei im zweiten Kapitel bemerkt), ist wohl selten so unspektakulär und selbstverständlich in eine Geschichte integriert worden. Und schließlich muss noch die ebenso unauffällige wie natürliche Liebe erwähnt werden, die eigentlich für alle Personen die Triebfeder ihres Handelns ist. 

Lange habe ich mich nicht so köstlich amüsiert!

Lissa Evans: 10 Wünsche, 7 Abenteuer und eine sprechende Katze. Mixtvision 2022, 16.- €

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Marlon und Melanie lieben es über alles, ihren Opa zu besuchen: In seinem übervollen Haus leben nicht nur Schwämme vom Großen Terrier Riff und die Riesenspinne Eleonora (zum Glück eine Vegetarierin), sondern auch der wunderbare Kulinarische Collie Tschakka-Lakka. Außerdem kann Opa die tollsten Geschichten erzählen, denn er hält unfassbar viele ungewöhnliche Weltrekorde. Am spannendsten ist es natürlich, dabei zu sein, wenn Opa wieder einen Rekord aufstellen will. Und das will er heute: Mit einem Luft-und-Liebe-Getränk möchte er der leichteste Mensch der Welt werden. Und es klappt! Besser als erhofft! Doch dann wird Opa ernst und berichtet Marlon und Melanie von seinem Arztbesuch. Der Arzt hat ihm mitgeteilt, dass er nur noch vier Wochen zu leben hat. Wie praktisch, fällt dem Opa da ein, dass der Trank so hervorragend wirkt. Denn: Lieber wegfliegen als leichtester Mensch der Welt, als jetzt hier sterben zu müssen, oder? Das sehen Marlon und Melanie ein, auch wenn sie schrecklich traurig sind. Doch für sie bleibt eine wichtige Aufgabe zurück, mit der sie im selben Atemzug einen eigenen Weltrekord aufstellen können...

Orths hat viele sehr unterschiedliche Bücher veröffentlicht, darunter auch schon einige für Leseanfänger im Moritz Verlag. In diesem aber läuft er zur Höchstform auf: Selten findet man so viele herrlich hanebüchene Weltrekorde und Reisemitbringsel wie bei diesem Opa. Und das tollste: Der Unsinn darf unwidersprochen so stehen bleiben, niemand erklärt hier irgendetwas als Fantasiegebilde, als eingebildet oder zusammengeflunkert. Klasse! Dann hole ich mir jetzt ein paar Kulinarische Collie-Zwiebeln!

Markus Orths/Kerstin Meyer: Opa fliegt. Moritz Verlag 2022, 11.95 €

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Was für eine Wohltat! Seit Lyrik wieder im Trend ist, erscheinen vermehrt Bilderbücher in gereimter Form oder Gedichte für Kinder. Nicht wenige Autor*innen denken dabei offenbar entweder, für Kinder muss es ja nicht ganz so perfekt sein, oder sie können einfach nicht gut reimen. Es ist jedenfalls leider häufig eine Zumutung, diese holprige Verse und schiefen Reime Kindern gut vorzulesen. Ganz anders Coco Stolperbein! Jörg Hilbert ist ein Meister der Dichtkunst, man merkt es schnell: Hier stimmt jeder Vers, jeder Reim, jeder Rhythmus (so gut, dass einem der einzige Tipp- oder Druckfehler sofort auffällt), so dass es eine Freude ist, das Buch laut (vor) zu lesen. Und dazu sind die Verse witzig, spritzig und komplex, die Wortwahl ungewöhnlich und anspruchsvoll. Und als ob das nicht schon reichen würde für ein gelungenes Bilderbuch: Der Inhalt stimmt auch. Hilbert erzählt eine herrliche Geschichte über eine sympathische Familie, in erster Linie die Tochter Coco, die das Leben von zwei Spießern umkrempelt. Man sieht sie vor sich nach den ersten Sätzen, in ihrem ordentlichen Haus mit zu Tode gestutztem Vorgarten und glänzendem Auto: Frau Richtig und Herr Wichtig. Das Haus ist sauber und ruhig – bis Familie Stolperbein einzieht... Was aber ist mit den Illustrationen, schließlich handelt es sich um ein Bilderbuch? Kaum zu glauben, aber der Dichter Jörg Hilbert ist auch der Illustrator – und auch das kann er hervorragend: Einprägsame Figuren, schöne, gedeckte Farben, klasse Bildaufteilungen, kein Schnickschnack zu viel. Sonst noch etwas? Ja! Wenn Jörg Hilbert wollte, könnte er das Buch zu allem Überfluss auch noch singen und sich selbst dazu auf einer Laute begleiten. Früher nannte man solche Menschen Universalgenies, das sind sie wohl auch heute noch. Insgesamt also ein großer Wurf, der es zurecht auf die Shortlist für den Literaturpreis Ruhr 2022 geschafft hat. Wenn man unbedingt eine Kleinigkeit bemängeln wollte, könnte man anbringen, dass der Titel ein wenig in die Irre leiten mag: Zusammen mit dem stolpernden B scheint der Name Coco Stolperbein, der an Hinkebein erinnert, auf eine Geschichte über ein hinkendes Kind zu deuten. Aber: Und wenn schon. Wer's liest, ist danach schlauer.

Jörg Hilbert: Coco Stolperbein. Insel Verlag 2022, 13.95 €

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Divas Hauptinstinkt ist der Servierinstinkt – jagen ist etwas für Waldis. Und Waldis leben im Wald, wohin Diva sich eigentlich nicht freiwillig begibt. Daher bleibt sie lieber im Wagen, wenn ihre Besitzer joggen gehen. Doch wenn man muss, dann muss man bekanntlich. So steigt sie also aus dem Auto aus und erledigt ihr Geschäft. Dabei trifft sie eine schielende Maus, die vor ihren Augen von einer Eule geschnappt wird. Brutale Natur. Und vor lauter Ablenkung hat Diva sich auch noch verlaufen. Nun wird es ernst und gefährlich, denn im Wald lauern Wolf, Luchs, Fliegenpilz, Marder und Fuchs. Der Fuchs jedoch ist eine Füchsin und in eine Falle geraten. Da kann Diva helfen und tut es. Zum Parkplatz findet sie trotzdem nicht. Was ist eigentlich mit den Waldis los, wieso hilft ihr keiner?

Das fragt sich Diva und benimmt sich fröhlich daneben. Bis es am Ende zum richtigen Showdown kommt... Ein toller Baltscheit-Wurf: Diese Hedin steht in ihrer verletzlichen Selbstgefälligkeit und überraschenden Stärke dem Baltscheit-Löwen in nichts nach!

Martin Baltscheit/Barbara Jung: Diva allein im Wald. Beltz & Gelberg Verlag 2022, 14.- 

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